Wie's aussieht wars der jetzt - mein letzter Tag in diesem CEAM. Manchmal fällt einem erst im Nachhinein auf, was man alles hatte. Die vielen kleinen Momente und Erinnerungen, die mich doch immer wieder froh gemacht haben, dort zu sein wo ich war - ich versuche sie mit euch zu teilen.
"Marlene, es ist halb zwei, du musst jetzt rüber!" - Stimmt. Erster Tag auf der Arbeit, das Bambi macht seine ersten schüchternen Schritte. Exakt genau so habe ich mich den gesamten Vormittag gefühlt, während ich irgendwelche heulenden Babys in die Arme gedrückt bekommen habe und nicht die geringste Ahnung hatte was ich tun sollte. Wie sich rausstellen sollte, verläuft mein Nachmittag sehr ähnlich. Ich werde noch bis zum Büro des CEAMs begleitet und erkenne die Chefin, die ich bereits am morgen kennengelernt habe. Auf dem Weg mit ihr zu Küche werde ich den Senioren vorgestellt. "Das ist Marlene, sie kommt aus Deutschland, wie die anderen Freiwilligen vorher und wird mit uns einige Zeit verbringen". Mir wird ziemlich unwohl während die ganze Gruppe Opas sich um mich schaart und begutachtet. Ich werde als hübsch eingestuft und schüttele ein dutzend Hände, welche mich teilweise schon garnicht mehr loslassen wollen. Vor allem im Fall eines Opas der mich mir fortwährend etwas erzählt und näher kommt. Die Chefin reagiert heftig, weist ihn zurück - ich komplett überfordert und peile nicht im Geringsten was passiert. " Mit ihm, muss man vorsichtig sein" sagt sie zu mir und wir hauen ab in die Küche. Ok merk ich mir... Moment... Welcher nochmal????
Mittagessen. Ein bisschen Routine, ja die hab ich jetzt vielleicht schon. Ich komm nachmittags hier rüber in die Küche, steh rum und fühl mich erstmal unnötig bis mir was auffällt / mir gesagt wird was ich tun könnte, Tisch decken, Abwasch.. Bis wir uns dann in unsrer kleinen Runde zum Essen setzen. Da sind die beiden Köchinnen, die freiwillig arbeitende Frau mit der ich den Nachmittagsimbiss vorbereite, die Chefin, ne andere Mitarbeiterin aus dem Büro, die zwei Tage die Woche da ist und der Praktikant Francisco - so in der vollen Besetztung. Ich stocher in meinem angerührten Kartoffelbrei und bin mal wieder mit den Gedanken ganz woanders. Das chilenische Tischgespräch ist für mein müdes Hirn nur ein Hintergrundgeräusch. Ich schaue stattdessen der Studentengruppe zu, die irgendeine Aktion mit den Opas macht á la Gedächtnisübungen, Malen etc... Dementsprechend reagier ich zunächt mal mit einem hmmm??? Als sich plötzlich jemand an mich wendet. "Warum so müde?" , "Esst ihr das hier auch in Deutschland?" , "Schmeckts dir?" - sowas in der Art. Und ja - an Gesprächsthemen mit der kleinen Deutschen haperts noch ein wenig. Damit habe ich in diesen Wochen viel zu kämpfen. Ich versuche mein bestes mehr von mir zu zeigen, meinen Platz hier zu finden. Aber ertappe mich doch immer wieder wie ich müde und kränklich im Energiesparmodus vor mich hindümpel - Du Idiot!!!
Namen lernen ist mir hier im Moment keine leichte Aufgabe, zumal ich ständig neuen Gesichtern begegne. Mit der Zeit stellt sich bei den Opas jedoch heraus, dass etwa schonmal die Hälfte Juan oder Jose heißen. Die Lehrerin kommt vorbei. Mit Mathe und Lesebüchern bewaffnet setzen wir uns an den Tisch. "Wieviel sind 2/4 Käse?" "Wie viel Käse muss ich noch kaufen um einen ganzen zu haben?" "Wie schreibt man 1/2?" Ich frage einen zuschauenden Opa (nicht alle machen bei dem Programm mit) ob er sich denn nicht neben mich setzen möchte, da er mich schon die ganze Zeit aufmerksam beobachtet. Wie sich herausstellt kann er weder lesen noch schreiben. Er erzählt mir wie gerne er unterschreiben könnte. Ich hole natürlich ein Blatt Papier und frage nach seinem vollen Namen. Ich schreibe ihm die Vorlage und nach ein paar holprigen Startversuchen konnte man später sogar den Vornamen ordentlich und schön lesen. Die Lehrerin ist begeistert und beschließt ihm ein Übungsheft zu geben mit Vorlagen für seinen Namen und den Zahlen usw. Der Opa geht mit einem Strahlen nach Hause und ich mit einer neuen Aufgabe - mit ihm zu üben. Traurig aber wahr: Ich habe das Heft nie wieder gesehen. Der Opa brachte es nicht wieder mit und ich bezweifle, dass er zuhause übt... So ist das Leben.
Ich sitze mit ein paar Opas am Tisch, als mich ein anderer anspricht und im Stehen zu mir herunterschaut. Ich höre ihm angestrengt zu trotz heftigem Mundgeruch und verstehe absolut nichts. Ich entscheide mich dafür zu nicken und abzuwarten. Ein andrer Senior macht mir mit Gestiken zu verstehen, dass er vermutlich betrunken ist.
Gegen Ende des Arbeitstages ist für gewöhnlich nichtmehr viel zu tun. Die Senioren gehen meistens direkt nach dem Nachmittagsimbiss um 4 obwohl das CEAM noch zwei Stunden auf hat. Wenn in der Küche alles getan ist setz ich mich also ins Büro (vlt ja doch noch was zu tun, á la Dekobasteln oder Bürokrams etc?). Ich bin immer noch nicht hundertpro bestfriends mit meinen Chefinnen, aber es wird mit jedem Abend besser. So wie heute: Nach vielem Gequatsche und Gelächter gehe ich vermutlich das erste Mal seit einigen sehr tristen Tagen mit einem Strahlen aus dem Laden. Die Sonne scheint, ich bin happy und als hätte der Fahrer des "micros" in das ich einsteige geahnt, dass ich einen guten Tag sehr nötig hatte, schenkt er mir ein "du hast aber schöne Augen" nach dem Bezahlen. Manchmal bietet der Tag kleine, unverhoffte Geschenke.
Man kommt als weltwaerts-Bewerber oft mit den allergrößten Ambitionen rein, so zugegebenermaßen auch ich. Auf den Auswahl- und Vorbereitungsseminar sagen sie einem dann, dass die Aufgabe oft eher darin besteht, den betreuten Leuten dort oder den Hauptamtlichen den Tag ein kleines bisschen zu verschönern. Ich glaubte das damals verstanden zu haben, doch was das tatsächlich bedeutet, dessen war ich mir nicht unbedingt bewusst. So glaube ich ist eine meiner wichtigsten Aufgaben, neben dem tatsächlichen "arbeiten", einfach nur mich mit den Senioren zu unterhalten, Interesse zeigen, zuhören und auch etwas von mir zu zeigen. Und ich merke wie viel das eben auch mir zurückgibt. Es ist eigentlich sogar ein viel größeres nehmen als geben, wenn sich mir Einblicke in jede einzelne Lebensgeschichte bieten.
Ein Opa spricht mit mir immer über seine Bauchschmerzen, und verabschiedet sich eines Tages von mir, weil er sagt, dass er eine Operation haben werde. Als ich ihn zwei Tage wieder sehe, bin ich verwundert. Mir wird erzählt, es sei nicht möglich gewesen; "ich werde wohl daran sterben".
Ein Opa war mal Maler und ein großes Bild von unserm Padre Hurtado von ihm hängt auch an der Wand. Ein anderer war mal Sänger (derselbe, der bei seinen eigenen Ständchen immer in Tränen ausbricht). Wieder ein anderer hat mir über seine langen Rucksackreisen erzählt und wie er von hier nach dort getrampt ist. Wie gut es ihm ging. "Doch ich habe alles verloren". Bevor ich die Worte finde nachzufragen, was passiert sei, werde ich in die Küche gerufen.
Eine meiner wenigen Omas kann sich kaum fortbewegen und auch das sprechen fällt ihr sehr schwer. Ihr eingefallenes Gesicht erinnert beinahe an einen Totenschädel. Sie trägt ein Gebiss und wenn sie redet bewegt sich die obere Zahnreihe mit dem Unterkiefer nach unten, weil es nicht fest sitzt. Das macht das verstehen natürlich nicht gerade einfacher, doch ich gebe mir die beste Mühe. Sie hat hier im CEAM einen "pololo" (festen Freund) gefunden, neben dem sie nachmittagelang auf dem Sofa sitzt und auf der Schulter schläft. Er sagt, er wolle sich nur um sie kümmern, "es gibt eben Menschen die es schlimmer erwischt haben als man selbst." Für sie bedeutet das allerdings glaube ich um Längen mehr: Eines Abends sitze ich nurnoch allein mit ihr am Tisch, da sie wartet, bis ihr "pololo" sie mit dem Rollstuhl abholt. Sie erzählt mir von ihm - das habe ich zumindest schon kapiert. Das einzige was ich jedoch verstehe ist "el amor de mi vida" (die Liebe meines Lebens). Er lädt sie mitsamt Rollstuhl auf sein "Dreirad" (So nennen die hier solche Rahradteile, mit vorne ner Ladefläche mit zwei rädern und dem Lenker, Sattel und drittem Rad hintendran). So fahren die beiden auf ihrem Gefährt auf die Straße und rein ins Viertel.
Yeyyy - Freude pur, es bahnen sich dann doch mit der Zeit ein paar Dinge an, die ICH selbsständig übernehmen kann, partypartypartyyy. So zb. die Inventur im Vorratsraum, oder das alltägliche "once" (Nachmittagsimbiss). Die freiwillig arbeitende Kollegin kommt immer seltener, ich glaube sie hat nen Job gefunden. Ich vermisse sie zwar schon, da ich sie wirklich gern habe, aber so hatte ich eben mal eine Aufgabe alleine zu erfüllen. Halb vier, Senioren zählen + mind zwei mehr, da manche noch später dazu kommen, Brote mit irgendwas drauf und Tee mit zwei Löffeln Zucker oder Kaffee, Fenster zur Küche auf - Fertig! Mir macht das glücklicherweise Spaß. Mit einem "gracias tía" (Danke Tante) holen sich die Opas das essen selbst ab. Einer bleibt sogar kurz stehen um mir zu erklären, dass mir Gott meine Arbeit am Ende belohnen wird. Na dann!
Heute stehen zehn Hausbesuche in praller Sonne an, wegen Unterschriften für den kommenden Direktionswechsel. Yippiie, schreien meine Füße zu mir hoch, die noch unter Blasen von meinen neuen Wanderschuhen, die ich am Wochenende eingelaufen habe, leiden. Mit Akten bewaffnet machen Francisco und ich uns auf den Weg durch das nicht allzu kleine Viertel. Fragen uns durch, versuchen nicht in Hundehaufen zu treten, schreien durch die hohen Zäune zu den Häusern damit man uns aufmacht (Klingeln gibts keine, Klopfen macht bei Zäunen nicht so richtig Sinn, also doch lieber ein lautes "ALLO!!" von Francisco). Der Frühling hier ist verrückt, morgens und abends wirklich riiichtig kalt und mittags viel zu heiß für die Klamotten, die ich anhabe. Ich lache mir die ganze Zeit nen Ast ab, denn ich übe mit Pancho=Francisco deutsche Vokabeln. Die ganze Sache ist allerdings furchtbar anstrengend, nicht nur wegen der vielen Lauferei, sondern weil ich eben nochmal mehr eine Grenze aufgebe zwischen mir und der Realität vieler Leute des Viertels. Nicht so leicht in Worte zu fassen.
Ich bin mit Pancho im "micro" unterwegs, er zur Uni, ich nach hause. "allí, allí, allí!!" (da, da, da) sagt er zu mir um mir verständlich zu machen wo ich mich hinsetzen soll. Ich lache und sage ihm dass das grade für mich klang wie eieiei, und dass das eben "huevo" (ei) heißt. Wir lachen viel und fahren ein bisschen "micro"-Achterbahn und kriegen nen Lachflash als wir über ein riesen Schlagloch hopsen. Also doch lieber festhalten in der Achterbahn.
Einer der Opas kann wirklich gut Gitarre spielen. Als ich mich neulich mit ihm darüber unterhalte, erzähle ich ihm von meiner Ukulele. Ich verspreche sie ihm einmal mitzubringen. Er ist begeistert davon und lästert mit mir ein bisschen über den einen Opa der immer Gitarre "schrammelt" und irgendwas schief dazu singt. Ich finde es zwar eher belustigend, aber ich freue mich von ihm unter dem Kreis der "Könner" eingestuft zu werden. Dann schneide ich meinen "kuchen aleman" (deutschen Kuchen) an, denn ich hab den Kochlöffel geschwungen um mich mit einem Zitronenkuchen von meinen Mitarbeiterinnen zu verabschieden, denn es ist bereits meine letzte Woche hier.
Abschlussrunde mit den Senioren. Worte werden gesagt und ich bin wirklich erstaunt, dass sogar ich darin erwähnt werde. Vor allem am Tag danach, beim abschließenden Mittagessen mit allen Mitarbeiterinnen, fließen viele Tränen. Mir wird allmählig bewusst, was ich in diesem CEAM schon alles hatte und wie gern ich teil des ganzen war. Ich bin traurig, dass ich jetzt wieder komplett von vorne anfangen darf im neuen CEAM und könnte eigentlich grade mitheulen. Aber andrerseits, was beschwere ich mich eigentlich?? Ich verliere hier nicht grade meinen Job und meine jahrelangen Arbeitskollegen - irgendwie fühle ich mich fehl am Platz.
... Ich weiß - das war lang, aber es musste sein! Ich hoffe ein paar Leute kommen sogar bis hier zum Ende beim lesen! ;)
"Marlene, es ist halb zwei, du musst jetzt rüber!" - Stimmt. Erster Tag auf der Arbeit, das Bambi macht seine ersten schüchternen Schritte. Exakt genau so habe ich mich den gesamten Vormittag gefühlt, während ich irgendwelche heulenden Babys in die Arme gedrückt bekommen habe und nicht die geringste Ahnung hatte was ich tun sollte. Wie sich rausstellen sollte, verläuft mein Nachmittag sehr ähnlich. Ich werde noch bis zum Büro des CEAMs begleitet und erkenne die Chefin, die ich bereits am morgen kennengelernt habe. Auf dem Weg mit ihr zu Küche werde ich den Senioren vorgestellt. "Das ist Marlene, sie kommt aus Deutschland, wie die anderen Freiwilligen vorher und wird mit uns einige Zeit verbringen". Mir wird ziemlich unwohl während die ganze Gruppe Opas sich um mich schaart und begutachtet. Ich werde als hübsch eingestuft und schüttele ein dutzend Hände, welche mich teilweise schon garnicht mehr loslassen wollen. Vor allem im Fall eines Opas der mich mir fortwährend etwas erzählt und näher kommt. Die Chefin reagiert heftig, weist ihn zurück - ich komplett überfordert und peile nicht im Geringsten was passiert. " Mit ihm, muss man vorsichtig sein" sagt sie zu mir und wir hauen ab in die Küche. Ok merk ich mir... Moment... Welcher nochmal????
Mittagessen. Ein bisschen Routine, ja die hab ich jetzt vielleicht schon. Ich komm nachmittags hier rüber in die Küche, steh rum und fühl mich erstmal unnötig bis mir was auffällt / mir gesagt wird was ich tun könnte, Tisch decken, Abwasch.. Bis wir uns dann in unsrer kleinen Runde zum Essen setzen. Da sind die beiden Köchinnen, die freiwillig arbeitende Frau mit der ich den Nachmittagsimbiss vorbereite, die Chefin, ne andere Mitarbeiterin aus dem Büro, die zwei Tage die Woche da ist und der Praktikant Francisco - so in der vollen Besetztung. Ich stocher in meinem angerührten Kartoffelbrei und bin mal wieder mit den Gedanken ganz woanders. Das chilenische Tischgespräch ist für mein müdes Hirn nur ein Hintergrundgeräusch. Ich schaue stattdessen der Studentengruppe zu, die irgendeine Aktion mit den Opas macht á la Gedächtnisübungen, Malen etc... Dementsprechend reagier ich zunächt mal mit einem hmmm??? Als sich plötzlich jemand an mich wendet. "Warum so müde?" , "Esst ihr das hier auch in Deutschland?" , "Schmeckts dir?" - sowas in der Art. Und ja - an Gesprächsthemen mit der kleinen Deutschen haperts noch ein wenig. Damit habe ich in diesen Wochen viel zu kämpfen. Ich versuche mein bestes mehr von mir zu zeigen, meinen Platz hier zu finden. Aber ertappe mich doch immer wieder wie ich müde und kränklich im Energiesparmodus vor mich hindümpel - Du Idiot!!!
Namen lernen ist mir hier im Moment keine leichte Aufgabe, zumal ich ständig neuen Gesichtern begegne. Mit der Zeit stellt sich bei den Opas jedoch heraus, dass etwa schonmal die Hälfte Juan oder Jose heißen. Die Lehrerin kommt vorbei. Mit Mathe und Lesebüchern bewaffnet setzen wir uns an den Tisch. "Wieviel sind 2/4 Käse?" "Wie viel Käse muss ich noch kaufen um einen ganzen zu haben?" "Wie schreibt man 1/2?" Ich frage einen zuschauenden Opa (nicht alle machen bei dem Programm mit) ob er sich denn nicht neben mich setzen möchte, da er mich schon die ganze Zeit aufmerksam beobachtet. Wie sich herausstellt kann er weder lesen noch schreiben. Er erzählt mir wie gerne er unterschreiben könnte. Ich hole natürlich ein Blatt Papier und frage nach seinem vollen Namen. Ich schreibe ihm die Vorlage und nach ein paar holprigen Startversuchen konnte man später sogar den Vornamen ordentlich und schön lesen. Die Lehrerin ist begeistert und beschließt ihm ein Übungsheft zu geben mit Vorlagen für seinen Namen und den Zahlen usw. Der Opa geht mit einem Strahlen nach Hause und ich mit einer neuen Aufgabe - mit ihm zu üben. Traurig aber wahr: Ich habe das Heft nie wieder gesehen. Der Opa brachte es nicht wieder mit und ich bezweifle, dass er zuhause übt... So ist das Leben.
Ich sitze mit ein paar Opas am Tisch, als mich ein anderer anspricht und im Stehen zu mir herunterschaut. Ich höre ihm angestrengt zu trotz heftigem Mundgeruch und verstehe absolut nichts. Ich entscheide mich dafür zu nicken und abzuwarten. Ein andrer Senior macht mir mit Gestiken zu verstehen, dass er vermutlich betrunken ist.
Gegen Ende des Arbeitstages ist für gewöhnlich nichtmehr viel zu tun. Die Senioren gehen meistens direkt nach dem Nachmittagsimbiss um 4 obwohl das CEAM noch zwei Stunden auf hat. Wenn in der Küche alles getan ist setz ich mich also ins Büro (vlt ja doch noch was zu tun, á la Dekobasteln oder Bürokrams etc?). Ich bin immer noch nicht hundertpro bestfriends mit meinen Chefinnen, aber es wird mit jedem Abend besser. So wie heute: Nach vielem Gequatsche und Gelächter gehe ich vermutlich das erste Mal seit einigen sehr tristen Tagen mit einem Strahlen aus dem Laden. Die Sonne scheint, ich bin happy und als hätte der Fahrer des "micros" in das ich einsteige geahnt, dass ich einen guten Tag sehr nötig hatte, schenkt er mir ein "du hast aber schöne Augen" nach dem Bezahlen. Manchmal bietet der Tag kleine, unverhoffte Geschenke.
Man kommt als weltwaerts-Bewerber oft mit den allergrößten Ambitionen rein, so zugegebenermaßen auch ich. Auf den Auswahl- und Vorbereitungsseminar sagen sie einem dann, dass die Aufgabe oft eher darin besteht, den betreuten Leuten dort oder den Hauptamtlichen den Tag ein kleines bisschen zu verschönern. Ich glaubte das damals verstanden zu haben, doch was das tatsächlich bedeutet, dessen war ich mir nicht unbedingt bewusst. So glaube ich ist eine meiner wichtigsten Aufgaben, neben dem tatsächlichen "arbeiten", einfach nur mich mit den Senioren zu unterhalten, Interesse zeigen, zuhören und auch etwas von mir zu zeigen. Und ich merke wie viel das eben auch mir zurückgibt. Es ist eigentlich sogar ein viel größeres nehmen als geben, wenn sich mir Einblicke in jede einzelne Lebensgeschichte bieten.
Ein Opa spricht mit mir immer über seine Bauchschmerzen, und verabschiedet sich eines Tages von mir, weil er sagt, dass er eine Operation haben werde. Als ich ihn zwei Tage wieder sehe, bin ich verwundert. Mir wird erzählt, es sei nicht möglich gewesen; "ich werde wohl daran sterben".
Ein Opa war mal Maler und ein großes Bild von unserm Padre Hurtado von ihm hängt auch an der Wand. Ein anderer war mal Sänger (derselbe, der bei seinen eigenen Ständchen immer in Tränen ausbricht). Wieder ein anderer hat mir über seine langen Rucksackreisen erzählt und wie er von hier nach dort getrampt ist. Wie gut es ihm ging. "Doch ich habe alles verloren". Bevor ich die Worte finde nachzufragen, was passiert sei, werde ich in die Küche gerufen.
Eine meiner wenigen Omas kann sich kaum fortbewegen und auch das sprechen fällt ihr sehr schwer. Ihr eingefallenes Gesicht erinnert beinahe an einen Totenschädel. Sie trägt ein Gebiss und wenn sie redet bewegt sich die obere Zahnreihe mit dem Unterkiefer nach unten, weil es nicht fest sitzt. Das macht das verstehen natürlich nicht gerade einfacher, doch ich gebe mir die beste Mühe. Sie hat hier im CEAM einen "pololo" (festen Freund) gefunden, neben dem sie nachmittagelang auf dem Sofa sitzt und auf der Schulter schläft. Er sagt, er wolle sich nur um sie kümmern, "es gibt eben Menschen die es schlimmer erwischt haben als man selbst." Für sie bedeutet das allerdings glaube ich um Längen mehr: Eines Abends sitze ich nurnoch allein mit ihr am Tisch, da sie wartet, bis ihr "pololo" sie mit dem Rollstuhl abholt. Sie erzählt mir von ihm - das habe ich zumindest schon kapiert. Das einzige was ich jedoch verstehe ist "el amor de mi vida" (die Liebe meines Lebens). Er lädt sie mitsamt Rollstuhl auf sein "Dreirad" (So nennen die hier solche Rahradteile, mit vorne ner Ladefläche mit zwei rädern und dem Lenker, Sattel und drittem Rad hintendran). So fahren die beiden auf ihrem Gefährt auf die Straße und rein ins Viertel.
Yeyyy - Freude pur, es bahnen sich dann doch mit der Zeit ein paar Dinge an, die ICH selbsständig übernehmen kann, partypartypartyyy. So zb. die Inventur im Vorratsraum, oder das alltägliche "once" (Nachmittagsimbiss). Die freiwillig arbeitende Kollegin kommt immer seltener, ich glaube sie hat nen Job gefunden. Ich vermisse sie zwar schon, da ich sie wirklich gern habe, aber so hatte ich eben mal eine Aufgabe alleine zu erfüllen. Halb vier, Senioren zählen + mind zwei mehr, da manche noch später dazu kommen, Brote mit irgendwas drauf und Tee mit zwei Löffeln Zucker oder Kaffee, Fenster zur Küche auf - Fertig! Mir macht das glücklicherweise Spaß. Mit einem "gracias tía" (Danke Tante) holen sich die Opas das essen selbst ab. Einer bleibt sogar kurz stehen um mir zu erklären, dass mir Gott meine Arbeit am Ende belohnen wird. Na dann!
Heute stehen zehn Hausbesuche in praller Sonne an, wegen Unterschriften für den kommenden Direktionswechsel. Yippiie, schreien meine Füße zu mir hoch, die noch unter Blasen von meinen neuen Wanderschuhen, die ich am Wochenende eingelaufen habe, leiden. Mit Akten bewaffnet machen Francisco und ich uns auf den Weg durch das nicht allzu kleine Viertel. Fragen uns durch, versuchen nicht in Hundehaufen zu treten, schreien durch die hohen Zäune zu den Häusern damit man uns aufmacht (Klingeln gibts keine, Klopfen macht bei Zäunen nicht so richtig Sinn, also doch lieber ein lautes "ALLO!!" von Francisco). Der Frühling hier ist verrückt, morgens und abends wirklich riiichtig kalt und mittags viel zu heiß für die Klamotten, die ich anhabe. Ich lache mir die ganze Zeit nen Ast ab, denn ich übe mit Pancho=Francisco deutsche Vokabeln. Die ganze Sache ist allerdings furchtbar anstrengend, nicht nur wegen der vielen Lauferei, sondern weil ich eben nochmal mehr eine Grenze aufgebe zwischen mir und der Realität vieler Leute des Viertels. Nicht so leicht in Worte zu fassen.
Ich bin mit Pancho im "micro" unterwegs, er zur Uni, ich nach hause. "allí, allí, allí!!" (da, da, da) sagt er zu mir um mir verständlich zu machen wo ich mich hinsetzen soll. Ich lache und sage ihm dass das grade für mich klang wie eieiei, und dass das eben "huevo" (ei) heißt. Wir lachen viel und fahren ein bisschen "micro"-Achterbahn und kriegen nen Lachflash als wir über ein riesen Schlagloch hopsen. Also doch lieber festhalten in der Achterbahn.
Einer der Opas kann wirklich gut Gitarre spielen. Als ich mich neulich mit ihm darüber unterhalte, erzähle ich ihm von meiner Ukulele. Ich verspreche sie ihm einmal mitzubringen. Er ist begeistert davon und lästert mit mir ein bisschen über den einen Opa der immer Gitarre "schrammelt" und irgendwas schief dazu singt. Ich finde es zwar eher belustigend, aber ich freue mich von ihm unter dem Kreis der "Könner" eingestuft zu werden. Dann schneide ich meinen "kuchen aleman" (deutschen Kuchen) an, denn ich hab den Kochlöffel geschwungen um mich mit einem Zitronenkuchen von meinen Mitarbeiterinnen zu verabschieden, denn es ist bereits meine letzte Woche hier.
Abschlussrunde mit den Senioren. Worte werden gesagt und ich bin wirklich erstaunt, dass sogar ich darin erwähnt werde. Vor allem am Tag danach, beim abschließenden Mittagessen mit allen Mitarbeiterinnen, fließen viele Tränen. Mir wird allmählig bewusst, was ich in diesem CEAM schon alles hatte und wie gern ich teil des ganzen war. Ich bin traurig, dass ich jetzt wieder komplett von vorne anfangen darf im neuen CEAM und könnte eigentlich grade mitheulen. Aber andrerseits, was beschwere ich mich eigentlich?? Ich verliere hier nicht grade meinen Job und meine jahrelangen Arbeitskollegen - irgendwie fühle ich mich fehl am Platz.
... Ich weiß - das war lang, aber es musste sein! Ich hoffe ein paar Leute kommen sogar bis hier zum Ende beim lesen! ;)