Ich muss heftig gähnen am Abendessenstisch. "Tienes sueno?" (Bist du müde) fragt mich meine Gastmutter. Ich nicke und erzähle wie wenig ich heute Nacht geschlafen habe. Ich musste die ganze Nacht husten und habe kaum ein Auge zugemacht. Daraufhin höre ich gefühlt zum 100ten Mal, dass ich doch zum Arzt gehen sollte und kriege gleich darauf wieder von 1000 Haus- und Zaubermittelchen erzählt mit denen meine Erkältung sicher ganz schnell verschwindet. Es klingelt an der Tür und die Freundinnen meiner Gastmutter kommen zu ihrem Treffen jeden Dienstag. Natürlich müssen diese auch wieder ihre Meinung dazu abgeben, wie ich diese Erkältungsgeschichte loswerde. Schließlich verziehe ich mich mit einem Trunk aus einem geheimnissvollen Kraut und Zwiebelschalen (Nicht die äußerste, ganz trockene Haut, aber sie muss unbedingt noch braun sein!!) in mein Zimmer - die Damen beginnen mit ihrer Leserunde.
"Permiso" (wörtlich: Erlaubnis) sage ich zu meinem Sitznachbarn im "micro" (bus) und stehe auf. Ich werde vorbeigelassen und ich laufe vor zum Fahrer doch - stolper wie gewohnt über meine eigenen Füße während der Bus um eine scharfe Kurve fährt - zu meiner Verteidigung, es geht auch wirklich rucklig zu in diesen Teilen! Einige Sachen rutschen aus meiner Tasche als ich mich auf dem Boden wiederfinde. Ich sammel alles hastig wieder auf, hechte meiner Flasche hinterher, die es schon vor zum Fahrer geschafft hat und schaffe es grade noch rechtzeitig dem Busfahrer verständlich zu machen an welcher Stelle ich jetzt gerne aussteigen würde. Die Tür geht auf und ich steige noch bei rollenden Rädern aus dem Bus - gelungener Abgang!
"Schhchhhh jetzt aber ruhig Kinder" die tía wirft einen Blick auf mich "dann singt Marlene uns vielleicht ein deutsches Kinderlied vor, was meint ihr?" Ohgott. Ich stöbere wie verrückt in meinem Gedächtnis auf der Suche nach etwas Passendem und treffe auf "Backe, backe Kuchen". Es hieß dass wir heute oder morgen noch zusammen backen werden also erkläre ich den Kindern worum es in dem Lied geht bevor ich anstimme und auch versuche mich an den Tanz zu erinnern. Wer ihn kennt - er fängt mit Klatschen auf die Oberschenkel an und so leg ich auch erstmal los. Die ganze Runde macht freundlicherweise mit und ich bin auch erstmal sehr zufrieden mit mir, bis "der muss haben sieben Sachen: " und wie das Schicksal wollte konnte ich mich nach Eiern, Milch und Safran an den Rest der sieben Sachen nichtmehr erinnern. Naja! Denk ich mir, die verstehen mich eh nicht und ich mach weiter in dem ich irgendwelche Silben vor mich herbrabbele und dabei mit den Fingern bis sieben zähle. Doch danach muss ich kapitulieren, der Rest des Lieds wurde aus meinem Gedächtnis gelöscht und schaue die tías entschuldigend an - "Den Rest hab ich vergesssen." Während ich mir überlege ob ich besser nen Lachflash kriegen oder im Boden versinken soll, bekomme ich trotzdem meinen Applaus.
Ich öffne meine Augen und schaue auf die Uhr im "sala cuna menor" (etwa: Wiegenraum jünger - also der Raum für die allerkleinsten der Kleinen). In diesem Raum mit Babys und sehr kleinen Kleinkindern ist es zwar ziemlich anstrengend aber dafür werde ich mit "siesta" (Mittagsschlaf) belohnt, da die tías in diesem Raum sich selbst auch ein bisschen hinlegen. Es ist halb zwei also Zeit für mich rüber zu den Senioren zu gehen um dort zu Mittag zu essen. Ich verabschiede mich und gehe rüber. Ich laufe an der langen Tafel der Senioren vorbei und mache mein tägliches Ritual: Ich sage freundlich Hallo, schüttel ein paar der Opas die Hand, wenn sie sie mir hinstrecken und winke dem dem einen, für gewöhnlich Domino-spielenden Senior zu, der beide Daumen in die Luft streckt und mir "Linda" (Hübsche") , "Rubia" (Blonde) oder sonst irgendetwas zuruft. Ich flüchte in die Küche, da es mir - traurig aber wahr - immer noch etwas unangenehm ist und ich nicht weiß was ich dadrauf antworten soll. Fühle mich aber trotzdem irgendwie geehrt.
Ich bin uuuunwahrscheinlich stolz auf mich, während ich mich dabei beobachte, wie ich in einem stinknormalen, langeweilevertreibenden Gruppengespräch unter Chilenen involviert bin. Ist vermutlich sogar das erste mal - also ich meine so einfach mitzureden ohne direkt und möglichst langsam angesprochen zu werden und dann etwas zu sagen - sondern einfach etwas beisteuern! Der Unterschied wird mir in dieser Sekunde erst bewusst und feiere innerlich diesen Fortschritt. Es ist Freitagabend und Ich bin bei Macarena (AFS-Freiwillige) zuhause und wir kochen Currywurst mit anderen jungen Leuten, die irgendetwas mit AFS zu tun haben (die deutsche Austauschschülerin Delphine, eine chilenische Bewerberin für ein Auslandsjahr, und andere ehemalige Austauschschüler). Nachdem unser Gespräch über Finnland ein Ende findet, sagt eine der Teilnehmenden zu mir "dein Spanisch ist wirklich gut, das hat sich schon verbessert seit dem letzten Mal oder?" Die anderen stimmen ihr zu und ich platze halb vor Stolz und bedanke mich: "Ich glaube ich habe mich nur mehr daran gewöhnt immer spanisch zu sprechen, so fallen mir die Wörter leichter ein."
"Una vuelta, una vuelta" (Eine Runde, eine Runde) ruft mir ein kleines Mädchen zu und schaut mit ausgestreckten Armen zu mir hoch. Ich bin mit der ältesten Gruppe (ca 4 Jahre) auf dem "patio" (Hof), eigentlich nur der große Flur zu dem alle Eingangstüren der salas zeigen. Ich nehme ihre Hände und drehe mich im Kreis, sodass sie um mich fliegt - doch im gleichen Moment bereue ich meine Entscheidung. Denn nachdem ich sie wieder auf den Boden lasse, befinde ich mich prompt in einem Haufen aus Kindern die meine Beine umklammern - "me toca a mí!"- "a mí"- "a mí"- "a mí" (Ich bin dran! Ich! Ich! Ich!) Ich mache also beim Nächsten weiter und verwandel mich für die nächsten Minuten in ein menschliches Karussel - bis mir dann doch ziemlich schwindelig wird und mich hinsetze und zu jedem Kind einzeln Nein sagen muss - jetzt is Schluss. Aber wenigstens hatte ich was zu tun! :D
"Tienes hijos?" (Hast du Kinder?) fragt mich die Frau, während sie den Kinderwagen hin und her bewegt. Ich verneine und versuche mir die Verwunderung nicht ansehen zu lassen. Mir war zwar schon öfter aufgefallen, dass viele hier doch schon etwas früher Kinder bekommen - aber trotzdem ist es das erste Mal, dass ich mit meinen 18 Jahren sowas gefragt werde - zumal ich die Frau erst seit 10 Minuten kenne. Die Frau ist eine Verwandte eines Seniors von uns, der leider seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschluckt ist. Ich bin mit dem Praktikant Francisco im Viertel unterwegs um ihren Personalausweis zu kopieren für eine Vermisstenanzeige. Wir beide warten draußen während er das in dem kleinen Laden machen lässt. Die Frau fragt mich weiter nach meinem Leben und deutschem Essen und ich versuche so gut wie möglich zu antworten. Sie fängt an chilenische Gerichte aufzuzählen von denen ich nur die wenigsten wiedererkenne, als Francisco mit der Kopie wiederkommt und wir uns bedanken und verabschieden. Wir machen uns wieder auf den Weg zum CEAM über eine Wiese/ Müllhalde/ Pferdekoppel.
Beim Mittagessen zeigt die Köchin auf einen der Senioren. "Er ist wieder aufgetaucht" sagt sie und meint damit den zurückgekehrten Senior für den vor ein paar Tagen noch eine Vermisstenanzeige aufgegeben wurde. "Er war in Santiago und wurde dort gefunden. Hat wahrscheinlich irgendeinen Bus genommen und wusste nicht wohin der fährt. Der Arme." Er sitzt schlafend im Sessel. Es kommt eine Gruppe von Studenten um etwas mit den Senioren zu machen und ich setze mich in den Stuhlkreis dazu. Jeder - auch ich - sagt etwas zu sich, Lieblingsfarbe, -essen, Alter, Geschichte aus der Kindheit. Ich ärgere mich sehr, dass ich nur das wenigste verstehe. Ein Opa steht sogar auf und singt ein Lied und ihm stehen die Tränen in den Augen, berührt von seinem eigenem Ständchen. Der wiedergekehrte Senior ist dran und ich verstehe wieder garnichts, doch plötzlich bricht dieser in Tränen aus und kriegt von einer der Studentinnen ein Taschentuch gereicht. Ich fühle mich betroffen und unnütz zugleich.
"Permiso" (wörtlich: Erlaubnis) sage ich zu meinem Sitznachbarn im "micro" (bus) und stehe auf. Ich werde vorbeigelassen und ich laufe vor zum Fahrer doch - stolper wie gewohnt über meine eigenen Füße während der Bus um eine scharfe Kurve fährt - zu meiner Verteidigung, es geht auch wirklich rucklig zu in diesen Teilen! Einige Sachen rutschen aus meiner Tasche als ich mich auf dem Boden wiederfinde. Ich sammel alles hastig wieder auf, hechte meiner Flasche hinterher, die es schon vor zum Fahrer geschafft hat und schaffe es grade noch rechtzeitig dem Busfahrer verständlich zu machen an welcher Stelle ich jetzt gerne aussteigen würde. Die Tür geht auf und ich steige noch bei rollenden Rädern aus dem Bus - gelungener Abgang!
"Schhchhhh jetzt aber ruhig Kinder" die tía wirft einen Blick auf mich "dann singt Marlene uns vielleicht ein deutsches Kinderlied vor, was meint ihr?" Ohgott. Ich stöbere wie verrückt in meinem Gedächtnis auf der Suche nach etwas Passendem und treffe auf "Backe, backe Kuchen". Es hieß dass wir heute oder morgen noch zusammen backen werden also erkläre ich den Kindern worum es in dem Lied geht bevor ich anstimme und auch versuche mich an den Tanz zu erinnern. Wer ihn kennt - er fängt mit Klatschen auf die Oberschenkel an und so leg ich auch erstmal los. Die ganze Runde macht freundlicherweise mit und ich bin auch erstmal sehr zufrieden mit mir, bis "der muss haben sieben Sachen: " und wie das Schicksal wollte konnte ich mich nach Eiern, Milch und Safran an den Rest der sieben Sachen nichtmehr erinnern. Naja! Denk ich mir, die verstehen mich eh nicht und ich mach weiter in dem ich irgendwelche Silben vor mich herbrabbele und dabei mit den Fingern bis sieben zähle. Doch danach muss ich kapitulieren, der Rest des Lieds wurde aus meinem Gedächtnis gelöscht und schaue die tías entschuldigend an - "Den Rest hab ich vergesssen." Während ich mir überlege ob ich besser nen Lachflash kriegen oder im Boden versinken soll, bekomme ich trotzdem meinen Applaus.
Ich öffne meine Augen und schaue auf die Uhr im "sala cuna menor" (etwa: Wiegenraum jünger - also der Raum für die allerkleinsten der Kleinen). In diesem Raum mit Babys und sehr kleinen Kleinkindern ist es zwar ziemlich anstrengend aber dafür werde ich mit "siesta" (Mittagsschlaf) belohnt, da die tías in diesem Raum sich selbst auch ein bisschen hinlegen. Es ist halb zwei also Zeit für mich rüber zu den Senioren zu gehen um dort zu Mittag zu essen. Ich verabschiede mich und gehe rüber. Ich laufe an der langen Tafel der Senioren vorbei und mache mein tägliches Ritual: Ich sage freundlich Hallo, schüttel ein paar der Opas die Hand, wenn sie sie mir hinstrecken und winke dem dem einen, für gewöhnlich Domino-spielenden Senior zu, der beide Daumen in die Luft streckt und mir "Linda" (Hübsche") , "Rubia" (Blonde) oder sonst irgendetwas zuruft. Ich flüchte in die Küche, da es mir - traurig aber wahr - immer noch etwas unangenehm ist und ich nicht weiß was ich dadrauf antworten soll. Fühle mich aber trotzdem irgendwie geehrt.
Ich bin uuuunwahrscheinlich stolz auf mich, während ich mich dabei beobachte, wie ich in einem stinknormalen, langeweilevertreibenden Gruppengespräch unter Chilenen involviert bin. Ist vermutlich sogar das erste mal - also ich meine so einfach mitzureden ohne direkt und möglichst langsam angesprochen zu werden und dann etwas zu sagen - sondern einfach etwas beisteuern! Der Unterschied wird mir in dieser Sekunde erst bewusst und feiere innerlich diesen Fortschritt. Es ist Freitagabend und Ich bin bei Macarena (AFS-Freiwillige) zuhause und wir kochen Currywurst mit anderen jungen Leuten, die irgendetwas mit AFS zu tun haben (die deutsche Austauschschülerin Delphine, eine chilenische Bewerberin für ein Auslandsjahr, und andere ehemalige Austauschschüler). Nachdem unser Gespräch über Finnland ein Ende findet, sagt eine der Teilnehmenden zu mir "dein Spanisch ist wirklich gut, das hat sich schon verbessert seit dem letzten Mal oder?" Die anderen stimmen ihr zu und ich platze halb vor Stolz und bedanke mich: "Ich glaube ich habe mich nur mehr daran gewöhnt immer spanisch zu sprechen, so fallen mir die Wörter leichter ein."
"Una vuelta, una vuelta" (Eine Runde, eine Runde) ruft mir ein kleines Mädchen zu und schaut mit ausgestreckten Armen zu mir hoch. Ich bin mit der ältesten Gruppe (ca 4 Jahre) auf dem "patio" (Hof), eigentlich nur der große Flur zu dem alle Eingangstüren der salas zeigen. Ich nehme ihre Hände und drehe mich im Kreis, sodass sie um mich fliegt - doch im gleichen Moment bereue ich meine Entscheidung. Denn nachdem ich sie wieder auf den Boden lasse, befinde ich mich prompt in einem Haufen aus Kindern die meine Beine umklammern - "me toca a mí!"- "a mí"- "a mí"- "a mí" (Ich bin dran! Ich! Ich! Ich!) Ich mache also beim Nächsten weiter und verwandel mich für die nächsten Minuten in ein menschliches Karussel - bis mir dann doch ziemlich schwindelig wird und mich hinsetze und zu jedem Kind einzeln Nein sagen muss - jetzt is Schluss. Aber wenigstens hatte ich was zu tun! :D
"Tienes hijos?" (Hast du Kinder?) fragt mich die Frau, während sie den Kinderwagen hin und her bewegt. Ich verneine und versuche mir die Verwunderung nicht ansehen zu lassen. Mir war zwar schon öfter aufgefallen, dass viele hier doch schon etwas früher Kinder bekommen - aber trotzdem ist es das erste Mal, dass ich mit meinen 18 Jahren sowas gefragt werde - zumal ich die Frau erst seit 10 Minuten kenne. Die Frau ist eine Verwandte eines Seniors von uns, der leider seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschluckt ist. Ich bin mit dem Praktikant Francisco im Viertel unterwegs um ihren Personalausweis zu kopieren für eine Vermisstenanzeige. Wir beide warten draußen während er das in dem kleinen Laden machen lässt. Die Frau fragt mich weiter nach meinem Leben und deutschem Essen und ich versuche so gut wie möglich zu antworten. Sie fängt an chilenische Gerichte aufzuzählen von denen ich nur die wenigsten wiedererkenne, als Francisco mit der Kopie wiederkommt und wir uns bedanken und verabschieden. Wir machen uns wieder auf den Weg zum CEAM über eine Wiese/ Müllhalde/ Pferdekoppel.
Beim Mittagessen zeigt die Köchin auf einen der Senioren. "Er ist wieder aufgetaucht" sagt sie und meint damit den zurückgekehrten Senior für den vor ein paar Tagen noch eine Vermisstenanzeige aufgegeben wurde. "Er war in Santiago und wurde dort gefunden. Hat wahrscheinlich irgendeinen Bus genommen und wusste nicht wohin der fährt. Der Arme." Er sitzt schlafend im Sessel. Es kommt eine Gruppe von Studenten um etwas mit den Senioren zu machen und ich setze mich in den Stuhlkreis dazu. Jeder - auch ich - sagt etwas zu sich, Lieblingsfarbe, -essen, Alter, Geschichte aus der Kindheit. Ich ärgere mich sehr, dass ich nur das wenigste verstehe. Ein Opa steht sogar auf und singt ein Lied und ihm stehen die Tränen in den Augen, berührt von seinem eigenem Ständchen. Der wiedergekehrte Senior ist dran und ich verstehe wieder garnichts, doch plötzlich bricht dieser in Tränen aus und kriegt von einer der Studentinnen ein Taschentuch gereicht. Ich fühle mich betroffen und unnütz zugleich.